125 Jahre Kurfürstendamm – Im Glanz der Zwanziger Jahre über den „Broadway von Berlin“
„Licht flutete durch die Straßen, grelle Reklamen hefteten sich wie mit Widerhaken an die Vorübergehenden, hämmerten ihnen Namen von Bars und Beine von Tänzerinnen ins Gehirn, und wer die Cocktails nicht trinken und die Frauen nicht kaufen konnte, der wußte wenigstens, daß es sie gab und wo“, mit diesen Worten fängt Anna Gmeyner in „Manja – Ein Roman um fünf Kinder“, 1938 im holländischen Exil erschienen , die Atmosphäre einer Berliner Frühlingsnacht des Jahres 1920 ein.
Damals hatte der Glanz des Kurfürstendamms die alte Amüsiermeile in der Friedrichstraße längst abgelöst. Nur ungern ließ man sich im Neuen Westen durch Kriegsversehrte, die vor Cafés und Bars, vor Kabaretts und Revuetheatern ihre amputierten Beine und Arme von sich streckten, bettelten oder Schnürsenkel verkaufen wollten, an den Krieg erinnern. Für viele waren das vier verlorene Jahre voller Elend, Tod und Trauer gewesen. Im Glanz dieser aufblühenden Kunst – und Vergnügungsmetropole wollte man aufholen, und sei es nur mit den Augen, wenn das Geld fehlte.
Max Raabe sang zur Einweihung der Tafel am 20.Juli 2005 (Foto: Walter Kreipe).
Von alten Fotos kennen wir sie noch, die legendären Manoli-, Odol- und Sarotti – Reklamen, Namen wie Café des Westens , Romanisches Café oder Mampes Gute Stube , wo Joseph Roth seinen „Radetzkymarsch“ vollendete, sind vielen noch geläufig. Aber wer kann mit dem berühmten Ausspruch des amerikanischen Schriftstellers Thomas Wolfe, der Kurfürstendamm sei das größte Caféhaus Europas, noch etwas anfangen? Die großen Terrassencafés von Möhring, Ecke Uhlandstraße, bis hin zur Hofkonditorei Schilling am unteren Ku’dammende sind verschwunden, und das Café Kranzler musste unters Dach juchhe umziehen. Just an der Stelle des „Café Größenwahn“ gelegen – Spitzname für das Café des Westens, Stammlokal der aufmüpfigen Maler der Secession, der Expressionisten, später Dadaisten, von Galeristen und Verlegern, von Else Lasker-Schüler, Gottfried Benn, Max Reinhardt, Marc Chagall, Jakob van Hoddis , von gefürchteten Kritikern wie Alfred Kerr oder Maximilian Harden und vielen anderen Wegbereitern der Moderne. Hier versuchte sich Rosa Valetti mit ihrem Kabarett „Größenwahn“.
Anfang der Zwanziger Jahre zog das Künstler-und Literatenvölkchen in ein Etablissement hinter der Gedächtniskirche um: das Romanische Café. Sein „Nichtschwimmerbecken“ war wie viele andere Ku’dammcafés ein Wartesaal aufs große Glück : vielleicht ein gut bezahlter Seitensprung, ein Engagement als Gigolo, als Filmsternchen, Verlagsautor, Zeitungskolumnist? Einstweilen hieß es aber schnorren oder anschreiben lassen, bis der „Ausweis“ kam, d.h. der diskret platzierte Zettel mit dem Hausverbot .Wer Tänzerinnenbeine sehen wollte, ging ins Nelson Theater, Ecke Fasanenstraße, heute…eine Filiale von Tommy Hilfiger.
Als die Afroamerikanerin Josephine Baker 1926, 20-jährig, Bubikopf, wippendes Bananenröckchen, dort auftrat, meinten Kritiker zu spüren, dass die „rasende Leidenschaft des afrikanischen Eros“ über das Publikum hinwegbrause. Es war die Rede von einem „Mittelprodukt zwischen Urwald und Wolkenkratzer“. Mit Josephine Baker etablierte sich der amerikanische Sound am Kurfürstendamm. Der junge Brecht und George Grosz schwärmten schon lange davon.
Savignyplatz 5. Heute erinnert das Café Grosz im aufgehübschten Haus Cumberland an den großen Berliner. (Foto Matthias Wolf).
Wenige Jahre nach einem anderen Krieg, dem deutsch-französischen von 1870/71, trug Reichskanzler Bismarck Kaiser Wilhelm I. die Idee vor, den zu eng gewordenen kurfürstlichen Knüppeldamm als „Hauptader des Vergnügungsverkehrs“, als „bequeme Zirkulation der Berliner Bevölkerung ins Freie nach dem Grunewald“ auszubauen, und zwar nach dem Vorbild der Pariser Champs-Elysées, wenn auch mit 53 m nur knapp halb so breit.
Unser Rundgang beginnt dort, wo man um 1900 noch von der „Straße ohne Häuser“ sprach, Felder bestellte und Spargel stach: am Lehniner Platz. Wir stehen vor der Schaubühne, dem früheren Universum-Filmtheater, diesem Ausrufezeichen der Neuen Sachlichkeit, inmitten der ansonsten eher protzend-neobarock oder im Stil der Neorenaissance daher kommenden Kurfürstendamm – Architektur aus der Zeit der Gründerjahre.
In dem von Erich Mendelsohn errichteten Gebäudeensemble befanden sich Erich Kästners Lieblingscafé, das „Leon“, aber auch das Kabarett der Komiker (Kadeko), in der die Diseusen Blandine Ebinger und Trude Hesterberg, Geliebte Heinrich Manns, sowie die Comedian Harmonists und Ernst Busch Triumphe feierten.
Auf dem Wege zum Romanischen Café, das man sich im heutigen Europacenter kaum vorstellen kann, erinnern wir an Film- und Hotelpaläste, fragen uns, wo „Der Blaue Engel“, wo „Das Kabinett des Dr. Caligari“ uraufgeführt wurden, wo man den jungen Helmut Newton ganz im Sinne der Zwanziger zum Modefotografen ausgebildete. Wo bis 2018 noch die Max- Reinhardt – Bühnen, das Theater und die Komödie am Kurfürstendamm, standen, werden wir wehmütig verharren und an die dort gefeierten Erfolge von Brecht und Lotte Lenya, von Revuen und Revuetten erinnern.
Wir werden über Moriz Seeler, den Begründer der „Jungen Bühne“, sprechen, über den Maler Felix Nussbaum, die Malerin Jeanne Mammen, die lebenslange Freundschaft zwischen George Grosz und Max Herrmann-Neiße, Dichter, Kritiker und Ku’damm-Anrainer, über den Schauspieler Hubert von Meyerinck, genannt „Hubsi“, die junge Grethe Weiser , den Operettenkomponisten Eduard Künneke, die Operettendiva Fritzi Massary , die skandalträchtigen Soloprogramme der Tänzerin Anita Berber und viele andere, nicht zu vergessen Vladimir Nabokov und die von ihm besuchten russischen Cafés und Kabaretts im „russischen“ Berlin, dem „Charlottengrad“ der frühen Zwanziger Jahre.
Wir fragen uns, was es mit dem Lokal „Tattersall Franz Diener“ in der Grolmannstraße auf sich hat, und warum Vicki Baum , Marlene Dietrich , George Grosz und Bertolt Brecht bei einem Ägypter boxen lernen wollten.
Am Beispiel der „Hemdhose am Kurfürstendamm“ erinnern wir daran, dass in den zwanziger Jahren viele Geschäfte aus der alten Stadtmitte dem Drang nach Westen folgten und sich wie das Leinen-und Wäschehaus Grünfeld zunächst mit Dependancen, dann mit Hauptgeschäften am Kurfürstendamm etablierten und damit auch erhebliche Veränderungen an den „Geschwürhäusern“ (Franz Hessel) der historistischen Wohnpaläste bewirkten.
Ein kleiner Abstecher lässt uns auf das Theater des Westens blicken, in dessen Keller sich nacheinander Trude Hesterbergs „Wilde Bühne“ (Musikalischer Leiter: Werner Richard Heymann) und Friedrich Hollaenders Kabarett „Tingel Tangel“ befanden. Hier hatte Brecht mit der „Legende vom toten Soldaten“ seinen ersten Auftritt in Berlin, hier sang Marlene Dietrich noch einmal die „Fesche Lola“, ehe sie endgültig nach Hollywood ging und Amerikanerin wurde.
Da waren die Zwanziger Jahre schon vorbei. Die Nazis standen Gewehr bei Fuß, der Kurfürstendamm war ihnen verhasst: zu undeutsch, zu amerikanisch, zu jüdisch. Viele wußten, dass sie die ersten Opfer dieses Wahns werden würden und sahen sich wie Heinrich Mann , Bertolt Brecht, Joseph Roth und Walter Mehring nach ihren Koffern um.