Zentren der Macht – damals und heute
Hauptbahnhof – Bundeskanzleramt – Reichstag – Brandenburger Tor –
Wilhelmstraße
Treffpunkt: vor dem Hauptbahnhof auf dem Washingtonplatz
Dauer: 2 – 2 1/2 Stunden
Kurz vor der Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006 bekam der damalige Chef der Deutschen Bahn Angst: Der Berliner Hauptbahnhof wird nicht rechtzeitig fertig! Ohne die Architekten Gerkan, Mark & Partner zu informieren, beschloß er, die Bahnhofshalle für die Ost-West-Verbindung von den geplanten 430 m auf 312 zu kürzen. Unser Glück! Auf dem Gleis 11, unter freiem Himmel stehend, haben wir einen ungestörten Blick auf den Spreebogen. Über ihn erstreckt sich von Ost nach West die imposante Gebäudefigur des „Bandes des Bundes“, symbolhafter Ausdruck des Zusammenwachsens von Berlin und Deutschland: Marie-Elisabeth-Lüders-Haus im Osten, Paul-Löbe-Haus und Bundeskanzleramt im Westen.
Davor zeigt die Schweizer Botschaft unübersehbar Flagge. Als einziges Gebäude hat sie im Spreebogen, dem ehemaligen Alsenviertel mit seinem spät-klassizistischen Gebäudeensemble von Botschaften und großbürgerlichen Villen, nicht nur die Kriegszerstörungen, sondern auch die hier von den Nazis geplanten Großbauten für die “Welthaupstadt Germania“ überlebt. So sollte Berlin ab 1950 heißen!
Wir wenden uns dem Bundeskanzleramt und Eduardo Chillidas Skulptur „Berlin“ zu. Dort ist die „neue Macht“, aus Bonn kommend, nun zu Hause. „338 Ja -, 321 Neinstimmen, eine Enthaltung“, so lautete das Abstimmungsergebnis des Deutschen Bundestags am 20. Juni 1991. Damit war der Umzug von Parlament und Regierung nach Berlin besiegelt. Axel Schultes und Charlotte Frank, die Architekten des Kanzleramts, hatten auch mit ihrer Idee vom „Band des Bundes“ die Nase vorn.
Wir werfen einen Blick auf das von 1884 bis 94 von Paul Wallot erbaute Reichstagsgebäude.
Auf einem Balkon der Westfassade stehend, rief hier Philip Scheidemann am 9. November 1918 die Republik aus. Die von dem britischen Architekten Norman Forster ersonnene begehbare Kuppel macht dem Brandenburger Tor Konkurrenz. Für viele gilt sie bereits als Wahrzeichen Berlins, als Symbol der politischen Macht in Deutschland. Kaiser Wilhelm II. war gegen die Inschrift „Dem Deutschen Volke“, nannte den Reichstag “Reichsaffenhaus“. Sein Großvater, Wilhelm I., wollte die Volksvertretung auf keinen Fall innerhalb der alten Residenzstadt Berlin haben. Die endete am Brandenburger Tor ( vgl. den Stadtgrundriss mit der Zollmauer von 1734 unter „Was erzählen uns Berlins Mauern?“ ).
Vor dem Reichstagsgebäude der Platz der Republik, ehemals Königsplatz, noch früher, unter dem Soldatenkönig und Friedrich dem Großen, Holzmarkt, staubiger Exerzier- und Paradeplatz: die „Berliner Sahara“ ! Wo zur Fußball – WM 2006 eine „Public-Viewing-Arena“ aufgebaut worden war, wächst heute wieder Gras. Dort stand einmal die Siegessäule.
Durch den Spreebogen – Park gelangen wir wieder auf die Uferpromenade und überqueren den Fluß zwischen den auf seinem Ost- und Westufer errichteten Bauten von Stefan Braunfels. An die 1989 gestürzte Gewaltherrschaft der DDR erinnern die Kreuze am Spreeufer und die in das Marie-Elisabeth-Lüders Haus integrierten Teile der Berliner Mauer.
Unsere Aufmerksamkeit gilt nun einigen Werken der „ Kunst am Bau“, die – vom Kunstbeirat des Bundestages mutig ausgewählt – innerhalb und außerhalb der Gebäude des „Bandes des Bundes“ wahrzunehmen sind, darunter Neo Rauchs Werk „Mann auf der Leiter“, der „Tschüss, DDR! “ zu sagen scheint. François Morellets farbige Neonlichtbänder „Haute et Basse Tension“ faszinieren auch tagsüber. Dani Karavans „Grundgesetz 49“, eine Installation aus beschrifteten Glastafeln und Stahlbändern, reicht vom Jakob-Kaiser-Haus bis zum Spreeufer. Zuvor erklimmen wir die von Stefan Braunfels geschaffene atemberaubende Freitreppe am Fluss. Sie führt in kein Haus, sondern zu der sich wild aufbäumenden Reiterfigur Marino Marinis: „Miracolo idea di un’ immagine“. Bei schönem Wetter könnte man hier den Picknickkorb auspacken. Aber wir wollen ja noch weiter, zu den Zentren der „alten Macht“.
Auf dem Pariser Platz interessieren uns vor allem das Brandenburger Tor und die Akademie der Künste. Wir nehmen die mittlere Durchfahrt, bis 1918 für Kaiser und König reserviert. Vorbei an keuleschwingenden Herkulesreliefs betreten wir das alte „Viereck“, das Quarré auf Schleuens Prospekt von Berlin ( vgl. „Was erzählen uns Berlins Mauern?“ ). Schon zu Zeiten der alten Macht hatten hier Franzosen und Amerikaner ihre Botschaften, wurden im Hotel Adlon Staatsgäste einquartiert. Der große jüdische Maler Max Liebermann wohnte am Platz „jleich links“. Das war Wilhelm II. gar nicht recht. Hitler trieb die Witwe Martha Liebermann aus dem Haus und in den Tod. Schräg gegenüber war Liebermanns Wirkungsstätte als Präsident der Akademie der Künste ( www.adk.de ). Dort zog 1937 Hitlers Stararchitekt Albert Speer ein, „Generalbauinspekteur für die Reichshauptstadt“.
Hinter dem Denkmal für die ermordeten Juden Europas ( www.stiftung-denkmal.de ) erreichen wir die Stelle, wo Adolf Hitler am 29. April 1945 tief unter der Erde in seinem Bunker Selbstmord beging.
Schließlich gelangen wir in die Wilhelmstraße, Machtzentrum des Königreichs Preußen, seit 1871 des Deutschen Kaiserreichs, des Dritten Reichs seit 1933. Nach rechts geht es in die Voßstraße. Dort erstreckte sich Hitlers Neue Reichskanzlei.
Wenn uns unsere Füße noch tragen, stehen wir zum Schluss unseres Rundgangs vor dem Bundesfinanzministerium, dem Detlev – Rohwedder – Haus, Leipziger / Ecke Wilhelmstraße ( www.bundesfinanzministerium.de ). Kaum ein anderes Berliner Gebäude konfrontiert derart schroff die gestürzte alte Macht der deutschen Diktaturen mit der vom Volk gewählten und kontrollierten neuen Macht:
Erster Großbau des Dritten Reiches, beherbergte es das Reichsluftfahrtministerium,1949 wurde in diesem Gebäude die DDR ausgerufen, später arbeiteten dort mehrere DDR-Ministerien, nach der Wende wickelte die Treuhandanstalt just in diesem Gebäude die volkseigenen Betriebe der DDR ab. In und vor diesem Gebäude wurden mutige Schritte unternommen, um die Diktaturen auf deutschem Boden zu bekämpfen:
Hier organisierte der Luftwaffenoberleutnant Harro Schulze-Boysen innerhalb eines Netzwerks, das die Nazis „Rote Kapelle“ nannten, bis zu seiner Festnahme den Kampf gegen die Naziherrschaft .
Hier entstand 1953 aus einer Demonstration von Bauarbeitern der ehemaligen Stalinallee der Aufstand des 17. Juni, blutig niedergeschlagen von sowjetischen Panzern. Und aus diesem Gebäude flüchtete am 28. Juli 1965 die Familie Holzapfel mit Hilfe eines 120m langen Stahlseils über die Mauer in den Westen der Stadt auf das Gelände der heutigen Topographie des Terrors.
Es hat lange gedauert, bis man im Westen und Osten Deutschlands die mit diesem Haus verbundenen Widerstandsaktionen und Namen von mutigen Frauen und Männern öffentlich würdigen und ehren konnte.
Weitere Informationen
Ein Rundgang durch das Parlament und seine Häuser. Einblicke in Architektur ,Kunst und Funktion der Bundestagsbauten. Kostenlose Broschüre, zu beziehen über: Deutscher Bundestag. Öffentlichkeitsarbeit, Platz der Republik1, 11011 Berlin,
Tel.: – 030 – 22 73 74 53, Fax: – 030 – 22 73 65 08; www.bundestag.de Links: Service / Informationsmaterial online bestellen / Basisinformationen
Steffen Damm, Klaus Siebenhaar, Karsten Zang, Schauplatz Berlin 1933. 1945. 1961. Heute. Eine historische Stadterkundung, Borstelmann & Siebenhaar, Berlin 2005
Sven Felix Kellerhoff, Berlin unterm Hakenkreuz, berlin edtion im be.bra verlag, 2006
Volker Wagner, Regierungsbauten in Berlin – Geschichte – Politik – Architektur, be.bra verlag , 2001
Das Detlev-Rohwedder-Haus, kostenlose Broschüre zu beziehen über www.bundesfinanzministerium.de
Weitere Literaturhinweise unter: https://www.berlin.de/politische-bildung/ Link: Publikationen